Hier sind in alphabetischer Reihenfolge ein Drittel der Filme gelistet, die ich im Kino gesehen habe und für die ich mich nunmehr im Rahmen meiner Bestenliste entschieden habe. Ich merkte zu älteren Listen schon an, dass dies mein sehr subjektiver Eindruck ist.
Gut und erfolgreich ist bekanntlich zweierlei. Bei insidekino sind die erfolgreichsten Filme 2024 gelistet. Aus der Top 20 habe ich nur zwei Filme überhaupt gesehen, „Dune 2“ (Platz 5), „Eine Million Minuten“ (Platz 16). Beide Filme fand ich nicht so toll. Auf Platz 38 kommt der erste Film, den ich gut fand („Poor Things“).
All of Us Strangers*****. Andrew Haigh inszenierte hier in Anlehnung an den 1987 erschienenen Roman des japanischen Autors Taichi Yamada einen Film, der sich als anspruchsvolle Schwulen- und Mystery-Geschichte wahrscheinlich zu einem Meilenstein entwickeln wird. Zwei Männer leben in ihren Appartements in einem Hochhaus in London. Sie scheinen die einzigen Bewohner zu sein, und sie kommen sich zögerlich näher. Der Hauptprotagonist will ein Buch über seine Eltern, die vor Jahrzehnten bei einem Autonfall umkamen, und über seine Kindheit schreiben. Er wühlt zu Hause in alten Dokumenten und findet ein altes Foto vom Haus, in dem sie damals wohnten. Während der eine Strang des Films im Hochhaus spielt und die Annäherung der beiden Männer behandelt, spielt der andere Strang im Haus der Eltern, denn der Mann macht sich auf zu dem Haus und findet dort nach mehreren Erkundungen der Umgebung seine Eltern vor, die so alt wie damals im Jahre ihres Todes sind und ihn, der nun erwachsen und etwa gleichalt ist, herzlich empfangen. Der Sohn outet sein Schwulsein gegenüber seinen Eltern und sie versuchen gemeinsam, diese Vergangenheit zu verarbeiten, gleichzeitig versucht der Mann diese Geschichte mit seinem einzigen Hausbewohner zu verarbeiten, den er auch für eine Begegnung mit seinen Eltern zu dem Haus führt. Doch dieser Kontakt mißlingt. Die Qualität des Films resultiert primär aus deren atmosphärischer Umsetzung, die durch Entrücktheit, einen ruhig-mysteriösen Soundtrack und Empathie im Kontakt der Figuren untereinander bestimmt wird.
Amsel im Brombeerstrauch***. Elene Naveriani erzählt nach einem Roman von Tamta Melashvili in ihrem Film von einer älteren Frau, die alleinstehend in einem kleineren georgischen Ort lebt, der nahe an einem größeren Fluss liegt. Am steilen Ufer gibt es Brombeersträucher, die sie gelegentlich aberntet. Außerdem betreibt sie einen eher extensiv frequentierten Krämerladen, dessen Produkte sie gelegentlich von einem Lieferanten aus der Großstadt auffüllen lässt. Es regnet viel in diesem Film. Während eines solchen Ereignisses hat sie erstmals Sex mit dem Lieferanten. Diese Gelegenheitsbeziehung müssen sie fortan geheim halten, treffen sich meist an anderen Orten. Die Frau hat ein zwiespältiges Verhältnis zu Familie, Ehe und ihren Freundinnen, mit denen sie sich häufig über ihren und deren Familienstatus streitet. Gelegentlich treffen sie sich in irgendwo in ihren Häusern zu Kuchen und Karten spielen. Der genau beobachtende Film beschreibt die oft spartanischen Strukturen in Georgien sowohl infrastrukturell als auch familiär sehr treffend. Er hat ein paar Längen und dürfte in erster Linie Kinobesucher ansprechen, die schon einmal dort waren.
Andrea lässt sich scheiden***. Josef Hader's Film spielt in der österreichischen Provinz, in der eine Frau und zwei Männer als Dorfpolizist*innen ihren alltäglichen Dienst versehen. Selbst die Geschwindigkeitskontrollen auf einsamen Landstraßen sind nicht besonders spannend, da kaum ein Fahrzeug vorbei kommt. Also sind sie und alle anderen Dorfbewohner vor allem mit sich selbst und mit den altersbedingten Quasi-Pflegefällen in ihrer Nachbarschaft beschäftigt und gehen gelegentlich saufen und tanzen in einem biederen örtlichen Tanzsaal. Als die Dorfpolizistin in einem Moment der Unachtsamkeit zu nächtlicher Stunde ihren betrunkenen Mann überfährt, seinen Tod feststellt, ihn auf der Sraße liegen lässt und Fahrerflucht begeht, fährt der Religionslehrer auch noch über den Mann und hat fortan schwere Schuldgefühle, die sein Leben aus dem Ruder laufen lassen. Der Film gehört sozusagen in die Rubrik „kauziger Kaurismäki-Filme“. Er ist unterhaltsam gemacht, hat gute Schauspieler*innen. Und der Städter weiss danach, weshalb es ihn nicht in die Provinz zieht.
Animalia*****. Thomas Cailley's Film erzählt von Mutationen bei Menschen, die diese langsam in tierähnliche Zwitterwesen verwandeln. Diese dystopische Geschichte spielt in Süd-Frankreich und ist heruntergebrochen auf die lokale Ebene, auf der Menschen versuchen, mit dem Umstand klarzukommen, dass sich in ihrem Umfeld nahe Verwandte oder Bekannte in nicht immer ungefährliche Tierwesen verwandeln. Während die Regierung sich mit Wegsperrmaßnahmen begnügt, entkommen immer mehr Zwitterwesen in den Wald und in die sumpfigen Regionen. Auch die Protagonisten dieser Geschichte suchen die Mutter, die nach einem Verkehrsunfall entkommen konnte, im Wald. Dabei baut der Junge Kontakte zu anderen Zwitterwesen auf, die dort bereits leben. Dem Regisseur ist ein sehr eigentümlicher, empathischer Film gelungen, der zwar nicht immer stilsicher wirkt, aber weit weg von gewalttätigen Creature-Horrorfilmen angesiedelt ist. Vielmehr ist die Botschaft durchaus, dass man zusammenleben muss. Dennoch muss man gelegentlich an Cronenberg-Filme denken. Body Horror und Coming of Age sind Themen im Film.
Anora*****. Unter der Regie von Sean Baker entstand dieser US-Film, der von einem russischen Milliardärssöhnchen erzählt, dass in einem US-amerikanischen Freudenhaus eine Frau kennen lernt und zu sich vor Ort nach Hause bittet.
Vom Reichtum fast erschlagen, gibt sich die Frau große Mühe, und innerhalb einer Woche heiraten sie klammheimlich in Las Vegas. Als den Eltern Gerüchte über die Heirat zu Ohren kommen, schicken sie Vasallen, um den beiden habhaft zu werden und um die Ehe zu annulieren.
Der Film folgt diversen Oligarchen-Klischees, die man so kennt. Jedoch ist er gut gemacht, wirkt realistisch, hat schauspielerisch überzeugende Figuren, ist zum Teil witzig, und ihm ist hoch anzurechnen, dass er ohne ernsthafte Gewalt auskommt.
Black Dog***. Der Film des chinesischen Regisseurs Guan Hu spielt im Jahr 2008 in einem maroden Industrieviertel am Rande der nordchinesischen Wüste Gobi. Die devastierte Gegend aus Industrieruinen, Steinbrüchen, Halden, leer stehenden Häuserblocks macht den Film selbst schon sehenswert. Viele Einwohner sind weggezogen und haben ihre Hunde wohl in der Stadt gelassen. Diese Hunde sind nach Anzahl und Verhalten ein Problem, man engagiert Hundefänger, die überall, auch in den Ruinen unterwegs sind. Der Protagonist der hier erzählten Geschichte, frisch aus dem Gefängnis entlassen und gerade angekommen, wird auch engagiert, ist aber nur halbherzig bei der Sache. Vielmehr schließt er Freundschaft mit einem schwarzen Hund, der ihn gebissen hat, nimmt ihn zu sich und ist mit ihm häufig auf dem Moped unterwegs. Er besucht Freunde und Feinde und seinen Vater, der in einem zerfallenden Zoo arbeitet und Alkoholprobleme hat. Er ist wortkarg, knabbert an dem Problem seiner Haftstrafe, die aus einem mit verursachten Todesfall im Rahmen einer Mutprobe resultierte. Neben der beeindruckenden Szenerie und der ungewöhnlichen Hundeproblematik gewährt der Film Einblick in die chinesische Lebensweise, Bürokratie, ärztliche und gastronomische Versorgung ihrer Einwohner.
Der Kolibri*****. Francesca Archibugi's Film erzählt nach einem Roman von Sandro Veronesi über 50 Jahre eine italienische Familiengeschichte in gehobenem großbürgerlichen Milieu. Teile der Geschichte spielen am Meer (Jugerndzeit), andere wohl überwiegend in Florenz. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Augenarzt, aber der berufliche Werdegang der Protagonist:innen steht in diesem Film völlig im Hintergrund. Hier geht es vielmehr um familiäre Altlasten, die sich in den etwa 50 Jahren ergeben und die den Hauptakteur bis ans Lebensende nicht mehr loslassen. Freitod der Schwester, unglückliche Liebe, unerfüllte Liebe, fatale Krankheiten, Unfälle. Dem nicht chronologisch erzählten Film, in dem die verschiedenen Zeitebenen ineinander übergehen, kann man nicht immer leicht folgen. Aber er ist toll gemacht, visuell stimmig, und es liegt eine wehmütige Atmosphäre über dem ganzen Film. Er punktet dann vor allem mit dem Ende, in dem es darum geht, organisiert und selbstbestimmt sein Leben zu beenden.
Der Zopf*****. Die französische Regisseurin Laetitia Colombani inszeniert hier nach ihrem eigenen, gleichnamigen Bestseller-Roman drei Geschichten, die als Globalisierungsdrama zum Thema „Haare“ zusammengehalten werden. Eine Geschichte spielt in Indien und handelt von einer Kleinfamilie im ländlichen Punjab, die der Kaste der Unberührbaren zugehört und kaum über die Runden kommt. Die Mutter möchte, dass die Tochter zur Schule geht und lesen und schreiben lernt. Als der Mann aus Angst nicht zu ihr hält, verschwindet sie eines Morgens mit der Tochter aus dem Dorf, um nach Süd-Indien zu flüchten. Ihr Ziel ist zunächst ein Tempel auf einem Berg, wo sie ein Opfer bringen müssen. Sie lassen sich ihre Haare abrasieren, die vom Tempel vermarktet werden. Die zweite Geschichte spielt in Italien und handelt von einem Betrieb, der menschliche, italienische Haare zu Perücken weiterverarbeitet, aber kurz vor dem Konkurs steht. Man muss sich anpassen, lernt die Tochter des Chefs und will zukünftig Haare günstiger auf dem Weltmarkt kaufen. Hier landet der Zopf der Tochter aus Indien. Die dritte Geschichte spielt in Kanada, wo die Anwältin einer renommierten Anwaltskanzlei eine düstere Krebsdiagnose erhält und sich im Laufe der Behandlung auf Basis eines Tipps für eine Perücke entscheidet, die ihrer Originalfrisur von vorher sehr nahe kommt. In dem Film, in dem durchweg coole, intelligente Frauen das Ruder in die Hand nehmen und sich selbst ermächtigen zu handeln, werden die drei Geschichten ineinander geschnitten. Es ist aus meiner Sicht ein schöner, auch berührender Film geworden.
Die Gleichung ihres Lebens*****. Die Regisseurin Anna Novion erzählt in dem in Paris spielenden Film von einer spröden talentierten jungen Mathematikerin, die bei der Vorstellung ihres Dissertationsobjektes um ein Primzahlproblem im Hörsaal jedoch scheitert und daraufhin zu einigen Kurzschlusshandlungen fähig ist. Sie gibt ihr Projekt offiziell auf, zieht aus dem Uni-Zimmer aus und bei einer „Bekannten“ ein, die sie kurz zuvor auf der Straße kennengelernt hat. Mit der Miete bei den chinesischen Eigentümern, die unter der Wohnung eine verbotene Spielhalle betreiben, haben sie bald Probleme, doch die Mathematikerin hat sich die Spielregeln des Majong-Spiels inzwischen selbst beigebracht und zockt gelegentlich die Mitspieler unten am Tisch ab, um die Miete zu erwirtschaften. Nebenbei wird sie sowohl in das Leben ihrer tanzaffinen Mitbewohnerin hineingezogen als auch bekannt mit ihrem mathematischen Mitbewerber. Sie arbeiten zeitweise zusammen an der Problemlösung und haben Sex miteinander. Die ganze Wohnung, Wände und Fensterscheiben überziehen sie mit mathematischen Formeln. Der Film kann stilsicher überzeugen und haucht den Figuren auch Leben ein.
Die Herrlichkeit des Lebens*****. Georg Maas & Judith Kaufmann inszenieren in Adaption des gleichnamigen Romans von Michael Kumpfmüller einen Film, der die letzten ein, zwei Jahre (1923/24) im Leben von Franz Kafka abhandelt.
Der Schriftsteller war damals schon durch Tuberkulose angeschlagen, aber es gab noch längere normale Phasen. In einem Ostseebad lernt er eine Frau kennen, sie verlieben sich und ziehen nach Berlin, doch sie haben wenig Geld und die oft kalt-feuchte emissionslastige Wohnung wirkt sich ungünstig auf seinen Gesundheitszustand aus.
Es handelt sich um einen feinfühligen, leicht melancholischen Beziehungsfilm, in dem zunehmend auch die Krankheit mit ihren Symptomen und ihre Behandlung im Sanatorium Platz einnimmt.
La Chimera***. Alice Rohrwacher's in Italien spielender Film ist so eine Art rohe Indie-Perle, weit entfernt von herkömmlichen Erzählmustern. Es passt aus meiner Sicht stilistisch und soundtrackmäßig nicht alles so wirklich geschmackssicher zusammen. Der Film handelt einerseits von einem begabten, psychisch angeschlagenen britischen Schatzsucher, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und einer italienischen Grabräuberbande, mit der er kooperierte und andererseits von einer älteren Frau, die in einem verfallenden, schlossähnlichen Anwesen lebt und sich eine junge Frau als „Dienerin“ hält. Das sind zwei bizarre Handlungsstränge, da sich der melancholische Schatzsucher und die Dienerin näher kommen, denn der Schatzsucher ist eventuell (?) ein Sohn der Hausherrin. Der Film punktet zweifellos mit dem bizarren Ambiente der Locations in ärmlich-alternativen Milieus und mit der Schatzsuche unter Einsatz einer Wünschelroute, die zu unterirdischen Gängen und etruskischen Grabkammern führt, die manchmal echte Schätze bergen. Doch der über zwei Stunden lange Film hätte auch stringenter erzählt und geschnitten werden können. Er hat manchmal seine Längen, etwa wenn lokale Sangeskünstler ihr Liedgut vorbringen.
Linoleum – Das All und all das***. Colin West hat eine skurril anmutenden Tragikomödie inszeniert, in der erst ein Auto aus dem Himmel auf die Straße und später eine Raumkapsel in den Garten eines etwas frustrierten Wissenschaftlers und Familienvaters stürzen, ansonsten Coming-of-Age, versäumte Lebens- und Karrierechancen, Midlife-Crisis, Lebensträume, Hobbies, Alzheimer und diverse andere Themen verarbeitet werden; denn der Mann verliert seine Kinder-TV-Wissenschaftssendung, sein Vater kämpft mit Alzheimer, seine Frau plant die Trennung und die in ihrem Selbstbild eigentlich lesbische Tochter bandelt mit dem neuen Typen in der Schule an. Diese Geschichte soll in den 1980er Jahren angesiedelt sein. Der Mann jedenfalls schleppt die Raumkapsel in seine umfangreich ausgestattete Heimwerkstatt, um daraus und aus anderen Teilen eine Rakete zu bauen und seinen Traum als Astronaut zu verwirklichen, während die anderen Familienmitglieder ihn zunächst für „irre“ halten, später aber mithelfen. Oder wird hier eine ganz andere Geschichte erzählt? Etwa, in der der Mann im Sterben liegt und hier Episoden aus seinem Leben vorbeiziehen? Ich blieb durchaus etwas ratlos zurück.
Love Lies Bleeding*****. Rose Glass' Film spielt in einem Kaff in New Mexico im Jahr 1989. Zwei Frauen lernen sich in einem Fitness-Studio kennen, in dem die eine als Aushilfskraft für schietige Arbeit zuständig ist und die andere als Bodybuilderin von auswärts hineinschneit. Sie beginnen eine leidenschaftliche Sexbeziehung. Die Bodybuilderin heuert - ebenfalls als Aushilfskraft - bei einem Schießstand an, der dem schrägen Vater ihrer neuen Loverin gehört. Das Mädel vom Fitnessstudio hat eine Schwester, die öfter von ihrem Mann verprügelt wird. Als sie krankenhausreif geschlagen wird, eskaliert die Story, denn die Boybuiderin tötet den Mann. Gemeinsam lassen die beiden Frauen den Mann verschwinden. Der Ort ist Bedacht gewählt, ein enger Badland-Canyon, in den sie das benzingetränkte Auto stürzen lassen, das dann auch explodiert und eine weithin sichtbare Rauchsäule zur Folge hat. Als die Polizei das Auto bergen will, werden im Canyon schlimme Entdeckungen gemacht. Im Stil und Milieu irgendwo angesiedelt zwischen Coen-Brüdern und Tarantino, ist die Geschichte schon ziemlich gewalttätig und punktet mit zwei starken Frauen in männerdominierten Umfeld. Der Film hat außerdem surreale Momente.
Marianengraben***. Eileen Byrne's Film nach einer Romanvorlage der deutschen Autorin Jasmin Schreiber ist ein lockeres Roadmovie, das auf einem deutschen Friedhof beginnt. Dort begegnen sich zu abendlicher Stunde zufällig eine junge Frau und ein älterer Mann, um Trauerarbeit zu leisten bzw. eine bestimmte Urne auszugraben und zu stehlen. Sie werden ertappt, können aber mit der Urne im Wohnmobil des Mannes fliehen. Zufällig haben sie auch das gleiche Ziel, nämlich Nord-Italien, so dass sie sich nach ruppigem Beginn im Wohnmobil zusammenraufen. Im Wohnmobil reisen noch ein Hund und später auch noch ein verletztes, verarztetes Huhn mit.
Der durchaus ernste Hintergrund der Traumata-Verarbeitungsgeschichte ist mitunter witzig-spöttisch-rührend und vor allem stimmig erzählt, und der Film punktet mit einigen skurrilen Einfällen um die Urne und das Huhn.
Perfect Days***. Wim Wenders Film spielt in Tokyo und handelt vom Leben eines Toilettenputzers, was den Film schon einmal grundsätzlich für mich interessant erscheinen lässt. Es gibt viele Tokyo-Motive aus unbekannteren Ecken zu sehen. Was hier geschildert wird, sind vor allem die individuellen Tagesroutinen des Mannes, wozu neben der Arbeit, in der er mittels Lieferwagen die Toilettenhäuser abklappert, bestimmte Routinen in seinem Haus (Blumenpflege, Frühstück, ...) und bestimmte, häufig besuchte Orte außerhalb (Park, Gaststätten, Waschsalon, Badeanstalt …) gehören. In dem Haus, in dem er wohnt, gibt es anscheinend weder Badewanne/Dusche noch eine Waschmaschine. Seine sozialen Kontakte sind spärlich, oft unverbindlich, die Dialoge oft spartanisch, aber plötzlich taucht die ausgerissene Tochter seiner Schwester auf, mit der er einige Tage per Fahrrad unterwegs ist und die ihm auch bereitwillig bei der Arbeit hilft. Die gezeigten Toiletten-Anlagen sind mitunter ausstattungstechnisch und architektonisch bewundernswert. Auch Musik spielt im Film eine Rolle, verfügt der Lieferwagen doch über einen Kassettenrekorder.
Poor Things*****. In Abwandlung des Frankenstein- und Mad-Scientist-Motivs inszeniert Giorgos Lanthimos die Geschichte um eine Frau, die der Wissenschaftler durch Gehirnextraktion/-implantation in England geschaffen hat. Da der Wissenschaftler der schwangeren toten Frau das Gehirn ihres eigenen Kindes eingepflanzt hat, muss diese Frau nun alles neu entdecken, einschließlich ihrer Sexualität. Zunächst lebt sie auf dem Anwesen des Wissenschaftlers, zusammen mit einer Haushälterin und zahlreichen anderen deformierten Geschöpfen experimenteller Chirurgie und fühlt sich eingesperrt. Doch gelegentlich sind andere Wissenschaftler und Personen dort zugegen, mit denen sie sexuelle Erfahrungen zu machen gedenkt. Mit einem davon brennt sie schließlich durch, da sie auch etwas von der Welt sehen will. In Lissabon, Alexandria und Paris macht sie Erfahrungen, ruiniert aber auch ihren Begleiter, indem sie sein Geld verschenkt. In Paris macht sie die Erfahrung, auch selbst sehr gut Geld in einem Bordell verdienen zu können. Der Film punktet mit farbenfroher, zum Teil steampunkförmiger Szenerie, diversen Kreaturen, überzeugenden Darsteller*innen und schräger, mitunter auch boshafter Story.
Stella. Ein Leben***. Kilian Riedhof's Film handelt das Leben der Jüdin Stella Goldschlag ab, vor allem die Kriegsjahre in Berlin. Die Frau war eine „Greiferin“, ein schöner tödlicher Lockvogel, der ihre jüdischen Mitmenschen an die Gestapo verraten hat. Mit Paula Beer ist die Protagonistin kongenial besetzt. Sie füllt ihre Rolle gut aus, auch wenn die Motivation für den Verrat – trotz Gewalterfahrung – wegen der Überambitioniertheit ihres Tuns nicht so wirklich erklärlich wirkt, zumal es hier nicht um nur einige wenige Verratsfälle geht. Dem Regisseur ist im Übrigen auch hoch anzurechnen, dass die Verfilmung einerseits nicht übermäßig bieder und asexuell wirkt, andererseits in der Figurenzeichnung auch nicht übermäßig Klischees bedient. Fröhliche Szenen wie der nicht statthafte Besuch eines kerzenbeleuchteten Festsaals während eines Bombenangriffs fand ich durchaus bemerkenswert, denn klar, einige Personen konnten sich über den Luftangriff freuen. Die Szenen im städtischen Berliner Stadtleben konnten aus meiner Sicht auch überzeugen.
The Dead Don't Hurt*****. Viggo Mortensen's sentimental-gewalttätiger Western (ab 16) spielt in den 1860er Jahren. Ein dänischer Auswanderer lernt auf dem Fischmarkt einer amerikanischen Stadt eine franko-kanadische Frau kennen und überzeugt sie, mit ihm „auf's Land“ zu ziehen, wo er eine kleine Hütte in der Nähe einer Siedlung gekauft hat. Geld wollen beide verdienen, er als Zimmermann, sie im Saloon. Schon einige Monate nach ihren Zusammenzug in die Hütte fühlt sich der Mann jedoch berufen, in den Krieg zu ziehen. Er verschwindet für ein paar Jahre. Die Frau bleibt, arbeitet auch weiter im Saloon. Eines Tages wird sie vom Sohn des Saloonbesitzers in ihrer Hütte vergewaltigt. Sie bleibt trotzdem und gebärt einen Sohn. Als ihr Mann aus dem Krieg zurück kommt, den kleinen Jungen sieht und von dieser Geschichte hört, entsteht das klassische Western-Motiv der Rechnung, die zu begleichen ist. Das geschieht später, nachdem seine Frau – vermutlich an Syphilis – gestorben ist. Der Film beginnt mit dem Tod der Hauptprotagonistin und erzählt die Geschichte in Rückblenden. Er lebt von den Hauptdarsteller*innen, der Landschaft, aber auch den Motiven, ein freies ungebundenes Leben „im Nirgendwo“ zu führen.
The Substance*****. In dem von der französischen Regisseurin Coralie Fargeat inszenierten Film geht es um Schönheitswahn, Sexismus, das Altern und seine Folgen für den Körper sowie hieraus resultierende Konsequenzen sowohl auf beruflicher Ebene als auch mit Blick auf Selbstoptimierungsmaßnahmen. Satirisch überspitzt inszeniert, ist dies ein Body-Horrorfilm, der diese Themen bis zum gnadenlos blutigen Ende durchspielt. Inhaltlich geht es um eine erfolgreiche TV-Aerobic-Performerin, die 50 Jahre alt wird und ihren Job verliert. Ihr werden auf dubiosem Wege Informationen zu einer „Substanz“ zugespielt, mit der sie ihren jugendlichen Körper zurückerhalten kann. Die Substanzen, auch Ernährungslösungen, muss sie regelmäßig an einem sehr merkwürdigen Ort abholen. Durch die gespritzte Substanz entsteht in kürzester Zeit ein jugendlicher Klon ihrer selbst, der aus ihrem Rückgrat hervorbricht. Die Krux an dieser Verjüngungslösung ist, dass beide Körper weiter existieren, ernährt werden müssen und nur im wöchentlichen Rhythmus alternativ leben können. In Nicht-Aktivitätsphasen liegen sie komatös-inaktiv in einem Raum und müssen täglich ernährt werden. Der Body-Horror, in diesem Film sehr krass in Szene gesetzt, resultiert aus dem Umstand, dass Störungen der Ernährungsversorgung des „schlafenden“ Körpers zu partiellen irreversiblen Alterungen und Deformationen führen. Aus meiner Sicht ist das ein heftiger, aber guter Film.
Touch*****. Baltasar Kormákur's Film nach einem Roman von Olaf Olafsson spielt in London, Tokyo und Hiroshima. Erzählt wird von einem Isländer, der vor 50 Jahren in einem Londoner japanischen Restaurant gearbeitet hat und sich in die Tochter des Restaurant-Besitzers verliebte. Diese Liebe musste geheim gehalten werden. Doch das Restaurant schloss über Nacht und die Japaner verschwanden spurlos. 50 Jahre später, sein Ende fühlend, beschließt der Mann nach einigen Recherchen nach Tokyo zu fliegen, um seine ehemalige kurzzeitige Freundin zu suchen. Die Corona-Pandemie beginnt. Die Spur führt nach Hiroshima. Der Film besticht vor allem in der ersten Hälfte mit seinen Rückblenden auf diese Liebesgeschichte. Die zweite Hälfte ist nüchterner, doch der Mann findet seine Ex-Geliebte und erfährt die Hintergründe ihres damaligen Verschwindens, die unmittelbar auch mit ihm zu tun haben. Mädchen mit Hiroshima-Wurzeln durften damals vor allem eines nicht tun, nämlich Kinder kriegen.
Das von mir am häufigsten besuchte Kölner Kino war das Odeon, gefolgt vom Cinenova und der Filmpalette. Im Jahr zuvor war die Reihenfolge genauso.
Filmempfehlungen aus dem Kinojahr 2022
Die Filmempfehlungen der Vorjahre existieren hier auch noch, jedoch habe ich aufgrund der Abschaltung von abload.de die defekten Filmplakat-Links entfernt. Ich könnte natürlich neue Links erstellen, aber selbst als Rentner fehlt mir dafür die Zeit - und es gibt prioritäre andere Dinge zu tun.
Die besten Filme des Kinojahres 2021
Die besten Filme des Kinojahres 2020
Die besten Filme im Kinojahr 2019
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