Nachdem das Kinojahr 2021 ein coronabedingter Tiefpunkt mit nur 36 gesehenen Kinofilmen bei mir war, hatte ich in 2022 wohl Nachholbedarf und war 80 mal im Kino. Diesen Wert habe ich nur in den Jahren 1998, 2000 und 2001 erreicht oder getoppt.
Die Antwort auf die Frage, welche 33 % dieser Filme nun mein Qualitätsurteil „gut“ erhalten und im Folgenden Erwähnung finden sollen, ist leider im Grenzbereich immer etwas schwierig. Deshalb dauert es auch, so einen Beitrag dazu hier zu verfassen. Diesmal bin ich allerdings sehr spät dran.
Die Bewertung ist in hohem Maße subjektiv. Das Ergebnis wird nicht primär geprägt durch die künstlerische Bewertung des Films, sondern vor allem durch die Frage „hat er mir gefallen?“. Chancen haben insbesondere Filme mit einem oder mehreren der folgenden Merkmale:
a) melancholischer Grundton,
b) Rückblenden auf Zeiten, wie es früher war,
c) (spröde/skurrile) Geschichten aus dem täglichen Leben,
d) alternative Lebensentwürfe,
e) manchmal Krankengeschichten,
f) Reisen,
g) starke Frauen,
h) Umweltbezug, i) phantastische Elemente,
j) SF-Elemente oder Post-Apokalypse,
k) düstere oder surreal wirkende Geschichten
l) Asia-Filme.
Abteil Nr. 6. Juho Kuosmanen's finnischer Film ist ein Railway-Movie. Geschildert wird die Ende der 1990er Jahre zeitlich einzuordnende Winterreise einer finnischen, in Moskau studierenden Archäologie-Studentin von Moskau nach Murmansk, wo sie sich Petroglyphen anschauen will. Das sind rund 1.920 km, und der Zug macht hier und da eine, 5 oder 24 Stunden Pause - genug Zeit für soziologische Studien und mehr oder weniger unangenehme oder erfreuliche Erlebnisse im Zug oder auch im russischen Nirgendwo. Eine feministische Finnin trifft auf einen toxischen Russen in dem Abteil, das ihnen als Einzelreisende sozusagen zwangszugewiesen wurde. Nach dem Schnaps-Exzess am ersten Abend raufen sie sich zwangsweise zusammen und am Ende hilft der Russe ihr auch, die Petroglyphen an einem Ort am Ende der Welt zu erreichen, nachdem sie ihn per Taxi in einer Tagebau-Mine besucht hat. Das ist ein ziemlich schöner, interessanter und melancholischer Film geworden. Merkmale: a, f, g.
An einem schönen Morgen. Mia Hansen-Løve, die bereits den schönen Film „Alles was kommt“ (2016) inszenierte, erzählt in ihrem in Paris spielenden Film von einer Frau und ihrer Tochter und von ihrem Leben. Sie ist als Synchron-Dolmetscherin tätig, hat ein ausgewachsenes Problem mit ihrem zunehmend senilen Vater und nebenbei noch eine Liebesbeziehung zu einem verheiratetem Astrochemiker. Der Vater muss in eine Seniorenheim, die Wohnung – voll mit Büchern – aufgelöst werden. Der Film pendelt zwischen den zwei Wohnungen des Vaters und der Frau, ihrem Arbeitsplatz, Spaziergängen mit Freund und Tochter und diversen Seniorenheimen, in denen der Vater zunächst immer nur zeitweise bleiben kann. In der Realisierung ist es ein typisch unaufgeregter sozialrealistischer französischer Film frei von jeder Künstlichkeit – wie aus dem Leben gegriffen. Der Film ist jedoch eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: c, e, g.
Are You Lonesome Tonight? Shipei Wen's Thriller spielt im chinesischen Guangzhou der 1990er Jahre. Auf einer dunklen regnerisch-nächtlichen Straße überfährt ein Autofahrer einen Mann, der wahrscheinlich auf der Straße lag. Er verwischt Spuren. Fortan plagen ihn Gewissensbisse, und er nimmt ruhelos Kontakt sowohl mit der Frau des Toten als auch mit der Polizei auf. Erzählt wird dies in verschachtelten, nicht der Chronologie folgenden Rückblenden, die immer mehr Details Preis geben und keineswegs nur eine einfache Fahrerflucht-Geschichte erzählen. Mitunter ist es nicht leicht, dem Geschehen zu folgen. Das Ambiente des Films ist oft düster - oft Nacht, oft Regen. Und trotzdem ist Sommer. In stillen nächtlichen Marktgassen drehen sich unheimlich die Ventilatoren. Wirklich an Fahrt gewinnt der Film erst im letzten Drittel. Der Film wirkt wie ein verschwommener Fiebertraum. Merkmale: k, l.
Bones And All. Luca Guadagnino inszenierte hier einen in diversen US-amerikanischen Bundesstaaten spielenden Film, der in den 1980er Jahren angesiedelt sein soll und der zu gleichen Anteilen Motive aus Coming-of-Age-/Liebesgeschichte, Road Movie und Horrorfilm miteinander verschmilzt. Das ist gekonnt und auch erzählerisch überzeugend gemacht. Es geht hier um Menschen mit kannibalistischen Trieben, die versteckt bzw. unerkannt zwischen normalen Menschen ihr Außenseiterleben leben oder auch von ihnen versteckt werden, weil es beispielsweise die Tochter ist, die schon in frühen Jahren die Babysitterin verspeiste. Road Movie ist es deshalb, weil Ortswechsel nach einem katastrophalen Ereignis oder einem Fressmord notwendig werden. Ein Vater verlässt die Tochter, nachdem diese einem Mädchen während einer Party einen Finger abgebissen hat. Er hinterläßt auf einer Kassette Hinweise auf den Verbleib der ihr unbekannten Mutter, so dass sich die Tochter auf die Suche begiebt. Sie trifft dabei andere „Eater“, die sich riechen können und tut sich mit einem jungen Mann zusammen, der ihr bei der Suche hilft. Im Grunde ist der Film eine Abwandlung des Vampirmotivs, nur wird hier kein Blut gesaugt, sondern Fleisch gegessen. Es gibt einige Schockszenen, zu denen sicherlich auch die Szene mit dem Finger gehört. Die Schauspieler:innen agieren überzeugend. Merkmale: c, i.
Crimes of the Future. Stilistisch ist der neue Film von David Cronenberg mehr Phantastik als Science Fiction. Er handelt von einem Underground-Kunst-Pärchen, das Organ-Operationen zu einer Kunstform stlisiert und diese live und im Netz vorführt. Dahinter stecken evolutionäre Entgleisungen, die den Schmerz ausschalten und neue Organe wachsen und bedingt steuerbar mutieren lassen. Die herangewachsene Organkunst im Körper kann dann operativ entfernt und den Zuschauer*innen gezeigt werden. Gleichzeitig erfährt der Operierte gewisse Lustgefühle, die sich auf die Zuschauer*innen übertragen. Body Horror. Der Film ist jedoch eher ein visuelles Erlebnis in Sachen Körperdeformation, ohne dass angstauslösende Horrorelemente generiert werden. Ekelmomente können da schon häufiger vorkommen. Aus meiner Sicht ist es ein ideentechnisch und visuell interessanter Film mit passablen Schauspieler*innen. Merkmale: i, j, k.
Das Leben ein Tanz. Cédric Klapisch hat hier mal wieder einen schönen Film inszeniert. Im Mittelpunkt steht eine junge Balletttänzerin, die sich umorientieren muss, nachdem sie bei einer Aufführung stürzt und sich einen Sehnenriss zuzieht. Ihr wird das Angebot gemacht, bei einem Catering-Service auszuhelfen, der in der Bretagne einen Job in einem Schloss hat, in dem Räume an künstlerisch tätige Gruppen vermietet werden, die bewirtet werden müssen. Eine dieser Gruppen ist eine Modern Dance Company, die der langsam genesenden jungen Frau Mut macht und eine in Stil und Musik ganz andere Tanzwelt vor Augen führt. Sie steigt dort langsam ein, zunächst in der Rolle der „toten Frau“. Der Film punktet nicht nur mit einer überzeugenden Hauptdarstellerin und außergewöhnlichen Tanzszenen, sondern auch mit ansprechenden Locations, Dialogen, zwischenmenschlicher Wärme und ihren Beziehungsgeschichten zum Physiotherapeuten, Tanzlehrer oder zum Vater. Merkmale: c, d, e, g.
Das Licht, aus dem die Träume sind. Pan Nalin's indischer Film ist eine Hymne an das Kino. Die Geschichte hat deutliche autobiographische Bezüge. Im Grunde verfilmt er hier Stationen seiner Kindheit. Erzählt wird von einem Jungen, der seinem Vater zeitweise – soweit die Schule es zulässt - als mobiler Teeverkäufer an einer lokalen Bahnstation beisteht. Die Mutter ist nahebei mit der kleinen Tochter beschäftigt und für das Essen zuständig. Hierzu gibt schöne Kochkunst-Bilder. Irgendwann nimmt ihn der Vater zu einem religiös verträglichen Kinofilm in die Nachbarstadt mit und sagt, dass dies wohl auch der erste und letzte Kinobesuch sein würde und führt religiöse Gründe an. Doch um den Jungen ist es geschehen und fortan versucht er, bei jeder Gelegenheit ins Kino zu kommen. Dafür schwänzt er schon mal die Schule und unterschlägt eingenommenes Teegeld. Schließlich kann er sich mit einem Filmvorführer anfreunden und einen Deal aushandeln. In diesem Deal gibt er dem Filmvorführer das leckere Mittagessen, das die Mutter für seine Schulzeit zubereitet und kann dafür aus der Vorführerloge einen Film ansehen. Nebenbei lernt er viel über den Filmprojektor und die Filmrollen. Die Sache geht aus verschiedenen Gründen nicht lange gut. Der Junge erlebt den digitalen Wandel mit, die alte Kinotechnik wird rausgeworfen und der Filmvorführer verliert deswegen seinen Arbeitsplatz. Der Film zeigt aus der Perspektive des Jungen, was aus den alten Sachen (Projektoren, Filmrollen) wird. Spätestens hier nimmt der Film märchenhafte Züge an, da Recycling- und Produktionsbetriebe wohl auch in Indien nicht so einfach zugänglich sind für fremde, schaulustige Kinder. Ein gelungener Film. Merkmale: a, b, l.
Der Engländer, der in den Bus stieg und bis ans Ende der Welt fuhr. Ein Reisefilm, der im Original weniger verkitscht als „The Last Bus“ betitelt ist und der vielleicht die Zukunft des Reisens zeigt – meine Zukunft. Gillies MacKinnon erzählt in seinem britischen Film von einem alten 85-90-jährigen Mann, der sich per Bus aufmacht, von Schottland nach Land's End in Südwest-England zu fahren. Dabei hat er nur einen kleineren Koffer, u.a. mit der Asche seiner Frau. Ziel der Reise ist ein Ort, den sie in jungen Jahren (um 1950) mal auf einer Reise besucht haben. Unterwegs macht er Bekanntschaft mit den Widrigkeiten des britischen Busnetzes und Wetters. Klapprig wie er ist, fällt es ihm schwer, in und aus den Bus zu kommen. Manchmal schläft er auch ein und wird im Busdepot aus dem Fahrzeug geworfen oder er wird aus dem Bus geworfen, weil sein Schottland-Ausweis nicht in England als Fahrausweis gilt. Aber er trifft auch nette Menschen, die ihm in der Not schon mal eine Übernachtung anbieten oder Zivilcourage zeigen. Der Film ist durchzogen von visuellen Erinnerungen an sein Frau, meist aus dem ersten Jahr ihrer Bekanntschaft oder aus dem Todesjahr. Weit ab von jeder Komik, überzeugt der Film mit seinem Charakterdarsteller, dem melancholischen Unterton und der Wärme der Charakterzeichnungen. Merkmale: a, b, f.
Die stillen Trabanten. Aus Short Storys von Clemens Meyer hat Thomas Stuber einen respektablen, überwiegend in Leipzig angesiedelten Film inszeniert. Die drei Episoden, die in stetigem Wechsel fortentwickelt werden, hängen nur lose zusammen. Sie handeln überwiegend von einsamen, „einfachen“ Leuten, die sich einer Frau annähern und versuchen, sie mit der Zeit kennenzulernen. Diese Kontakte finden in einer Bahnhofskneipe, auf dem Flurbalkon eines Hochhauses und auf einem nächtlichen Spielplatz statt. Die Annäherungen sind sehr behutsam und führen nur bedingt zu einem greifbaren Ergebnis, denn die Frauen sind bereits psychisch verletzt und „auf der Hut“. Die Feinfühligkeit der Dialoge in Kombination mit vielen Szenen aus dem Arbeitsleben und einsamen nächtlichen Stunden in der Großstadt lassen einen sehenswerten Film entstehen, der allerdings wegen fehlender dramaturgischer Momente vielleicht etwas zu lang ist und deshalb eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt ist. Merkmale: a, c.
Die Zeit, die wir teilen. Laurent Larivière's Film erzählt von einer älteren Frau und ihrem Leben. Während sie als Verlegerin manchmal in Paris, manchmal in ihrem herrschaftlichen Haus mit altem Garten in der Provinz wohnt, schweifen ihre Gedanken immer wieder ab, auch zur ersten Liebe, einen Mann, den sie kürzlich wieder traf.
Der Film hat auch phantastisch-bizarre Momente erotischer Natur und düstere Wahrheiten in der Gegenwart zu bieten, etwa in ihrem distanzierten Verhältnis zur Mutter. Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander.
Für die sinnlichen Momente sorgt Freya Mavor als noch junge Hauptprotagonistin.
Insgesamt ein ziemlich guter Film, auch wenn ich ihn am unteren Ende meiner Bestenliste ansiedele. Merkmale: a, b, c, g, i.
Eine Nacht in Helsinki. Ein echter Corona-Spielfilm ist dies, wenn Corona auch nur am Rande Thema des Films ist, sondern vielmehr die Background-Kulisse bildet. Mika Kaurismäki's Film spielt in Helsinki. Anfangs werden einige Personen gezeigt, die durch die menschenleeren Lockdown-Straßen laufen. In einem Gewerbe-Sanierungsgebiet treffen sie sich zufällig in einer Bar, die im Prinzip geschlossen hat. Doch der Betreiber ist dort mit dem zunächst verheimlichten Ziel, seine Corona-tote Bar abzufackeln. Dafür hat er einen Benzinkanister dorthin geschafft und sich noch ein letztes Essen mit Wein und Kerzenbeleuchtung stilecht zubereitet. Er wird aufgehalten. Ein frustrierter Bekannter kommt nach seiner Arztschicht, wird erst abgewiesen, doch dann bekommt er auch einen Wein und sie quatschen miteinander. Bald darauf kommt ein dritter, unbekannter Gast, der sich als Leiter eines Sozialamtes vorstellt und unbedingt den Akku seines leeren Smartphones aufladen möchte – und auch ein Glas Wein bekommt. Bald wird die nächste Flasche Wein geöffnet. Die drei Männer werden vertraulicher, erzählen von ihrem Leben, dem grauen Alltag und Beziehungsproblemen. Es kommen weitere Gäste. Es ist ein gelungener kleiner Film, der, obgleich kaum über den Virus gesprochen wird, die Corona-Atmosphäre ziemlich gut einfängt. Merkmale: a, c.
Eine Sekunde. Der neue Film von Zhang Yimou ist eine Ode an das Kino und die Macht der Bilder. Er spielt zu Zeiten der Kulturrevolution in einer Provinzstadt nahe der Wüste Taklamakan. Hierhin kommt ein entflohener Sträfling, um eine Wochenschau im örtlichen Kino anzusehen, da in dieser angeblich seine Frau zu sehen sein soll. Er trifft nächtlich eine junge Frau, die gerade eine Filmrolle gestohlen hat. Sie streiten und geben die Filmrolle zurück. Aber beim Transport der Filmrollen gab es sowieso ein Desaster, so dass das der Film erst gewaschen, getrocknet und wieder aufgerollt werden muss. Dabei helfen viele Stadtbewohner mit. Später kommen sich Mann und Diebin zaghaft näher, aber der Mann wird gejagt und zunächst wieder ins Arbeitslager verschleppt. Die Diebin schenkt ihm ein Zelluloid-Bild, doch das Bild geht in der Wüste verloren. Der Film ist vergleichsweise zu früheren Werken spartanischer inszeniert, doch schauspielerisch und in der Bildgestaltung überzeugend inszeniert. Dennoch habe ich den Film eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: b, l.
Licorice Pizza. Paul Thomas Anderson erzählt eine junge Liebesgeschichte aus den kalifornischen 1970er Jahren zwischen einem frühentwickelten 15-jährigen Jungen und einem 10 Jahre älteren Mädchen. Wie es den Anschein hat, war das Leben dort viel extrovertierter, geschäftstüchtiger und medienbezogener als in Deutschland mit seiner oft bieder-piefigen Gesellschaft. Aber gut, wir wissen alle, dass die westlichen Gesellschaften viele Schattierungen haben und dieser Film bestimmt auch nicht alle Milieus, Schichten und Schattierungen in den USA abbildet. Dieser Film hat bemerkenswert viel mit Geschäftsideen und deren Inszenierung zu tun. Zwischendurch gibt es etwas Liebesgeplänkel, aber keinen Sex. Atmosphärisch, stilistisch, ausstattungstechnisch, schauspielerisch und vielleicht auch soundtechnisch kann der Film gefallen. Dennoch ist der Film eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: b, c.
Mehr denn je. Die letzte Reise. Die deutsch-französische Regisseuerin Emily Atef erzählt davon. Eine jüngere Frau hat eine schlimme Diagnose bei den Äzt*innen bekommen. Sie hat einen Freund und einen Bekanntenkreis, doch sie zieht sich zunehmend zurück, es kommt zu Spannungen, denn die Lebenden verstehen die Sterbenden nicht. Die Ärztin rät zu einer Lungentransplantation, ihr Freund hofft darauf, sie kann sich nicht entscheiden, das Sterberisiko ist hoch. Sie surft im Netz herum. Schließlich erklärt sie ihrem Freund, nach Norwegen verreisen zu wollen. Und zwar allein, das hätte sie sich zuvor noch nie getraut. Ihr Freund ist entsetzt, aber sie fährt los, per Bahn und Schiff. Sie kommt bei dem Internet-Bekannten an, der sie direkt an einem steilen Fjord in einer ehemaligen Fischerhütte unweit seines Hauses unterbringt. Sie geht viel spazieren, denkt viel nach, der Norweger und sie kommen sich näher. Irgendwann kommt ihr entnervter, besorgter Freund nach Norwegen. Über die Tage kommen sie sich langsam wieder näher, haben auch Sex. Doch sie trifft eine Entscheidung und erklärt ihm, nicht mehr zurückzukehren. Frau Atef's sensible, gut ausbalancierte Geschichte mit grandiosen Fjord-Landschaftsaufnahmen und sparsam-melancholischen Sountrack könnte thematisch einer der besten ihrer Art sein. Merkmale: e, f, g.
Men. Alex Garland's Film spielt auf dem Lande in England. Eine Frau hat ein Trauma zu bewältigen (welches in Flashbacks näher beleuchtet wird) und mietet sich am Rande eines Dorfes in einem alten Landhaus ein. Sie macht zunächst einsame Spaziergänge in der Umgebung, kommt zu einem langen Tunnel, probt ihre Stimme und lauscht dem Hall. Doch als am anderen Ende des Tunnels eine merkwürdige Silhoutte auftaucht und sich das Wesen nähert, flüchtet sie in Panik. Später, eine Ruine passierend, kommt sie erleichtert auf Wiesen, und als sie zurück blickt, sieht sie einen nackten Mann, der später auch über das Grundstück ihres Anwesens huscht. Diese Szenen werden durch einen effektiv-unheimlichen Soundtrack stark unterstützt. Doch die Geschichte geht noch weiter, die Bewohner des Dorfes erweisen sich als merkwürdig, es kommt zu Gewalt und Körper-Metamorphosen. Wahn und Wirklichkeit lassen sich nicht wirklich unterscheiden, Trauma und Natur-Mystik gehen ineinander über. Dieser Film lebt auch von seiner starken, überzeugend agierenden Protagonistin. Er ist jedoch nicht immer stilsicher, weshalb er eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: i, k.
Mittagsstunde. Auf Basis des gleichnamigen Erfolgsromans (2018) von Dörte Hansen inszenierte Lars Jessen diesen Film über den wirtschaftlichen, kulturellen und zwischenmenschlichen Wandel im fiktiven nordfriesischen Straßendorf „Brinkebüll“ von den 1960er-Jahren bis in unsere Gegenwart. Ausgangspunkt der Geschichte ist ein Uni-Mensch, der eine Auszeit für ein Jahr nimmt, um sich in seinem kleinen Heimatdorf um seine zunehmend gebrechlich-senilen Eltern zu kümmern. Neben der relativ tristen Gegenwart kommen in ihm permanent Erinnerungen an seine Kindheit hoch, die der Film visualisiert. Dieser Film zählt aus meiner Sicht zu den besten deutschen Filmen der letzten Jahre, da er anschaulich den Strukturwandel in den Dörfern zeigt, um vermeintlich bessere Lebensbedingungen zu schaffen, die aber oft mit massiven Umweltzerstörungen einher gehen. Dazu zählen hier der Straßenbau, dem alte Bäume weichen müssen, als auch die Flurbereinigung, der ein Hügelgrab geopfert werden soll, das Verschwinden der Störche und der zunehmende Straßenverkehr, der auch Tote im Dorf fordert. Dazu kommt ein schauspielerisch überzeugend agierendes Ensemble bis in die Nebenrollen. Merkmale: a, b, h.
Mona Lisa And The Blood Moon. Ana Lily Amirpour erzählt von einer asiatischen jungen Frau, die der Zwangsjacke entfliehen kann und in New Orleans von einer Prostitierten aufgenommen wird, um mit ihr gemeinsam auf kriminelle Raubzüge zu gehen; denn die Asiatin hat die Fähigkeit, ihre Gegner*innen mental zu zwingen, bestimmte Dinge zu tun, etwa Geld am Automaten abzuheben. Der Film spielt mit vielen Genres, egal ob Horror, Fantasy, Coming-of-Age, Rachedrama oder Underground-Subkultur. In erster Linie würde ich es als ein Underground-Werk betrachten. Dafür sprechen Outfit und Soundkulisse. Mit im Mittelpunkt der Geschichte steht auch der noch junge Sohn der Prostituierten, den diese meist etwas vernachlässigt hat und der eine sensible Beziehung zur Asiatin aufbauen kann. Diese britisch-amerikanische Regisseurin erweist sich zunehmend als talentiert abseits der Mainstream-Schiene. Dennoch ist der Film eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: g, i.
Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel. Arthur Harari's handelt von jenem japanischen Soldaten, der die Kapitulation Japans am Ende des 2. Weltkrieges nicht wahrhaben wollte und erst rund 30 Jahre später sein Gewehr auf der philippinischen Insel Lubang abgab. Anfangs waren die japanischen Besatzer wohl ein paar Dutzend Soldaten. Aber nach dem amerikanischen Angriff blieben wohl nur noch ein Dutzend Leute, die in den Dschungel zogen, um dort Widerstand zu leisten. Die Gruppe teilte sich bald, einige desertierten und starben, und bald war die Gruppe für längere Zeit nur noch zu viert. Im Grunde waren es Banditen mit militärischem Background. Im Dschungel können sie nicht dauerhaft überleben, also vertreibt man gelegentlich einige Bäuerinnen mit Waffengewalt, um den geernteten Reis zu stehlen. Oder man erschießt eine Kuh. Diese Kleinauseinandersetzungen führen schließlich auch dazu, dass in den letzten Jahren nur noch einer der Japaner übrig bleibt. Ein junger japanischer Tourist ebnet den Weg, diesen Soldaten zur Aufgabe zu bewegen. Der Film wirkt stilistisch sehr authentisch, vor allem als Kampf mit dem Wetter und wochenlang strömenden Tropenregen. Die melancholische Leitmelodie hätte häufiger in diesem fast 3-stündigen Film abgespielt werden können. Den Film habe ich eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: l.
Petite Maman. Céline Sciamma erzählt in ihrem Film von einer Kleinfamilie, die nach dem Tod der Mutter der Frau das kleine abgelegene Haus im Wald zu räumen beginnt. Die Tochter stromert im Wald herum und begegnet einem anderen Mädchen, das – wie sie erkennen muss - ihre Mutter ist. Sie erfährt viel über das Leben ihrer Mutter als Kind und lernt auch ihre jüngst verstorbene Großmutter kennen. Die Regisseurin behandelt den „Riss in der Wirklichkeit“, ein kennzeichnendes Element der phantastischen Literatur, ohne irgendwelches mystisches Beiwerk, die Kinder nehmen die Gegebenheiten ganz natürlich hin und backen auch Pfannkuchen zusammen.
Auch wenn dieser Film aufgrund seiner minimalistischen Ausstattung eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt ist, kann man in die französische Regisseurin große Hoffnungen setzen. Merkmale: a, b, i.
Rifkin's Festival. Woody Allen's Film spielt in der spanischen Stadt San Sebastian. Er handelt von einem Filmdozenten, der mit seiner Frau dort auf dem Filmfestival ist. Er ist jedoch dort nicht beruflich eingebunden, während seine Frau einige Regisseure betreut. Er hat Angst, seine deutlich jüngere Frau an einen deutlich jüngeren Regisseur zu verlieren.
Altherrenphantasien plagen den Filmdozenten. Sie werden in schwarzweiß gezeigt. Doch nicht nur diese Phantasien sind Altherrenphantasien, sondern auch seine Kontaktaufnahme mit einer schönen Ärztin.
Ich stehe wohl auf romantisch-verbrämte Altherrenphantasien und fand den Film visuell recht ansprechend. Dennoch ist der Film eher am unteren Ende meiner Bestenliste angesiedelt. Merkmale: a, g, i.
Tove. Zaida Bergroth's Film ist ein Künstler-Biopic. Die finnisch-schwedische Künstlerin Tove Jansson, überzeugend gespielt von Alma Pöysti, wurde als Kinderbuch- und Comic-Zeichnerin etwa Mitte der 1950er Jahre mit den „Mumin-Trollen“ berühmt.
Der Film, der aus der Zeit etwa von 1944 - 1955 erzählt, beginnt mit ihren noch spärlichen Erfolgen und den Schwierigkeiten, ihr einfaches Künstleratelier finanziell über die Runden zu bringen und reicht bis zu ihren großen Erfolgen, als sie ihre Mumin-Comics wöchentlich bei einer englischen Zeitung unterbringen kann und damit ein festes gesichertes Einkommen erwirtschaftet. Nebenbei spielt auch ihre lesbische Beziehung zu einer Theater-Regisseurin aus reichem Hause eine Hauptrolle in diesem Film.
Manchmal mag ist Künstler*innen-Biopics. Merkmale: c, d, g.
Triangle of Sadness. Ruben Östlund's Film erzählt von einem reichen Model-Pärchen und ihrer Luxus-Kreuzfahrt auf einer Groß-Yacht, die in einer Katastrophe mündet. Der Film fängt mit einem Casting und einem absurden Streit über eine Restaurant-Rechnung an. Danach springt er auf die Luxus-Yacht, um das langweilige Gesellschaftsleben dort zu zeigen. Anwesend sind dort ein paar Pärchen und die Besatzung, die (fast) alle Wünsche erfüllen soll. So lässt man die Besatzung schon mal zur Unterhaltung antreten. Der meist betrunkene Kapitän hat wahrscheinlich schon lange die Nase voll von diesem Klientel und wird vom wahren Grauen gepackt anlässlich des anstehenden Kapitän-Dinners. Er legt das Dinner dann auf Stunden beachtlichen Seegangs. Visuell wird ordentlich gekotzt, und die Toiletten versagen dann auch noch. Im dritten Part des Films wird das Schiff dann von Piraten angegriffen und sinkt nach einer Explosion. Die Überlebenden retten sich auf eine einsame Insel. Eine Asiatin, die allein Feuer machen und Fische fangen kann, erklärt sich zur Chefin an Land. Der Model-Man muss nun Liebesdienste leisten, die Männer haben nichts mehr zu sagen. Man kommt wohl nicht umhin, diesen preisgekrönten, gewollt boshaft gemachten Film als ziemlich amüsant anzuerkennen. Mir ging es jedenfalls so. Merkmale: f.
Vatersland. Petra Seeger erzählt in ihrem autobiographischen Film von einer Frau, die nach dem Tod des Vaters alte Fotoalben und Erinnerungsstücke sichtet und in die Zeit ihrer Kindheit abdriftet. Streng aus kindlicher, fraulicher Perspektive wird aus einem Leben im Deutschland der 1950er und 1960er Jahre bis hin ins Jahr 1973 erzählt, wie das Familienleben so war. Irgendwann als sie noch Kind war in den 1960er Jahren starb die Mutter an Krebs und der Vater versuchte sich fortan mehr oder weniger allein an der Kindererziehung, bis er sie dann in ein von Nonnen geführtes Internat steckte. Der Film ist ein echter Gruselfilm, zeigt er doch wie bieder in vielen Familien die Gedanken- und Verhaltensmuster abliefen, wieviele Vorurteile und diskriminierend unterdrückende Verhaltensweisen in den Männern steckten. Und sage keiner, so sei es nicht gewesen. Ich erinnere mich dunkel an Vieles, ohne allerdings in den katholischen Quatsch verwickelt gewesen zu sein, da meine Eltern lediglich auf dem Papier evangelisch religiös waren. In jedem Fall ist es ein interessanter Film. Merkmale: b, g.
Vesper Chronicles. Unter der Regie von Kristina Buozyte & Bruno Samper entstand ein herausragender post-apokalyptischer SciFi-Thriller. Ausgangspunkt des Films ist eine weitgehend zerstörte Erde, auf der die Menschen, Tiere und Pflanzen infolge fehlgeschlagener genetischer Experimente weitgehend ausgelöscht wurden und neue Organismen leben. Die Überlebenden vegetieren in den Ruinen entweder dahin oder sie waren reich und konnten sich rechtzeitig in abgeschottete „Zitadellen“ zurückziehen. Sie tauschen Blut zur eigenen Verjüngung gegen Samen von Ackerfrüchten, damit das noch übrig gebliebene Volk überleben kann. Der Film spielt in einem sumpfigen Wald-Acker-Niemandsland. Hier lebt ein junges Mädchen getrennt von ihrer Sippe zusammen mit dem bettlägrigen Vater und einer hilfreichen Drohne. Die Sippe wird von einem brutalen „Onkel“ regiert. Gleichzeitig sieht man verhüllte Gestalten, die Schrott sammeln, hinter sich herziehen und einem unbekannten Ziel zustreben. Die Geschichte kommt ins Rollen, als ein Zitadellen-Gleiter abstürzt und das Mädchen eine verletzte Frau retten und aufnehmen kann. Diese Frau verspricht viel, erweist sich jedoch nur als eine genetisch gezüchtete Sklavin, die mit ihrem Herrn auf der Flucht war. Der Verrat des Onkels zieht eine Kette von Ereignissen nach sich, da die Zitadelle nun Suchtrupps ausschickt. Die zum Teil surreal anmutende Geschichte ist recht einfühlsam erzählt und punktet vor allem mit ihrer Szenerie und den mutierten Lebewesen (Würmer, Pflanzen), die gefährlich sein können. Atmosphärisch und soundtechnisch ist der Film eher düster. Merkmale: j, k.
Warten auf Bojangles. Regis Roinsard's Melodram spielt in den späten 1950er - 1960er Jahren in Frankreich und handelt von einer „amour fou“ zwischen einem Hochstapler und einer schönen Frau, die er auf einer Reichen-Party anbaggert und direkt einige Stunden später heiratet. Sie bekommen einen Sohn, machen viele Parties, doch ihr eskapistisches Glück bekommt Risse, weil die Privatinsolvenz droht und psychische Probleme der Frau evident werden. Der in sich stimmige Film kann kann mit einer überzeugenden Bebilderung und einem schönem Soundtrack mit dem Leitmotiv „Mr. Bojangles“ in der Interpretation von Marlon Williams aufwarten. Er nimmt zunehmend düstere Formen an, denn die Einweisung der Frau in eine psychiatrische Anstalt bleibt nicht aus, wo sie – in der damaligen Zeit gängig – unter dem Deckmantel angeblich hilfreicher Behandlungsmethoden – gefoltert wird. Sie wird von ihrem Mann später auch wieder befreit, doch der Film nimmt ein düsteres Ende. Merkmale: b, e, g.
Was man von hier aus sehen kann. Aron Lehmann inszenierte diese skurril-poetische Westerwald-Dorfgeschichte mit mitunter märchenhaften Bezügen nach einem Bestseller-Roman (2017) der deutschen Autorin Mariana Leky. Das Buch kenne ich nicht, aber der Film selbst ist sicher ein Highlight des deutschen Films in diesem Jahr. In sich verschachtelt, umfasst der Film eine Zeitspanne von etwa 30 Jahren, von wann bis wann, weiss ich nicht so genau, sagen wir mal 1965-95. Erzählt wird von einem Mädchen, das zur Frau heranwächst und sich mit den kauzig-skurrilen Dorfbewohnern herumschlagen muss, beispielsweise mit ihrer Großmutter, die gelegentlich von einem Okapi träumt, in dessen Folge meist ein(e) Dorfbewohner*in stirbt. Die Liebe steht auch Mittelpunkt des Films, will aber nicht in die Gänge kommen. Merkmale: a, b, g, i.
Der erfolgreichste Film im Kinojahr 2022 war mit großem Abstand „Avatar – The Way of Water“. Diesen Film sowie „The Batman“ auf Platz 10 der deutschen Top 10 habe ich auch gesehen, aber beide Filme nicht in meine Bestenliste gewählt. Der erfolgreichste Film aus meiner Bestenliste kommt erst auf Platz 34 (Triangle of Sadness). Details zu den erfolgreichsten Filmen könnt ihr bei insidekino nachgucken.
Die meisten Filme habe ich in der Filmpalette, gefolgt vom Cinenova und dem Odeon gesehen.
Die besten Filme des Kinojahres 2021
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