Montag, 25. August 2025

Im Kino: Die Farben der Zeit

Cédric Klapisch gehört zu meinen Lieblingsregisseuren. Er machte so schöne Filme wie „Und jeder sucht sein Kätzchen“ (1996), „Der Wein und der Wind“ (2017) sowie „Das Leben ein Tanz“ (2022). Auch sein neuer Film könnte für mich ein Aspirant für meine Film-Jahresbestenliste sein. 

Der Film hat als Ausgangspunkt eine Erbengemeinschaft, die weder voneinander viel weiß, noch von der Existenz einer gemeinsamen Vorfahrin wusste. Und auch das Haus in der Normandie, das seit den 1940er Jahre verschlossen dem Zerfall entgegendämmert und abgerissen werden soll, um einem Bauprojekt zu weichen, war ihnen völlig unbekannt. 

Sie bestimmen eine Delegation von 2 Frauen und 2 Männern, um den Ort in Augenschein zu nehmen und treffen auf eine Hausruine mit Inventar, darunter ein ganzes Zimmer mit Bildern und Fotographien zur Familiengeschichte an den Wänden, aber auch alten Briefen. Im Laufe des Films tauchen sie ein in die Vergangenheit, lassen auch ein impressionistisches Gemälde sachverständig untersuchen. 

Und der Film taucht ebenfalls visuell in die Vergangenheit ein, erzählt von der Frau (Suzanne Lindon), die 130 Jahre früher mit ihrer Großmutter dort lebte und 1895 aufbricht, um in Paris ihre Mutter zu suchen und einige Zeit später (Monate/Jahre?) mit dem Claude-Monet-Gemälde zurückkehrt. 

Es gibt also zwei Erzählstränge, die in wechselnden Montagen verflochten werden; auch visionäre Ereignisse unter dem Einfluss einer halluzinogenen Droge, die die Protagonist*innen der Erbengemeinschaft an einem Abend einnehmen, werden gezeigt. 

Indem der Regisseur „eine Brücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit schlägt und das Publikum erkennen lässt, wie die Menschen von früher die städtische Kultur erlebten und vermehrten, ähnelt Klapischs Film „Midnight in Paris“ von Woody Allen“, meint kino-zeit

Eine sehr schöne Geschichte. Das Kino war auch gut besucht.

Freitag, 22. August 2025

Bücherwelten: Maja Lunde's Roman „Die Geschichte des Wassers“

Der norwegische Roman erschien im Original in 2017. Es ist der zweite Teil ihres sogenannten Klimaquartetts über den Klimawandel und den Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen. 

Es werden zwei Geschichten in stetig wechselnden kleinen Kapiteln erzählt. Die eine Geschichte spielt zunächst an einem norwegischen Fjord im Jahr 2017. Ein naturnaher Fluss soll einem Wasserkraftwerk geopfert werden, und Eis des Gletschers wird abgebaut, um es in reiche arabische Länder zu gastronomischen Zwecken zu exportieren. Es gibt Fürsprecher und Gegenaktivisten, die nacheinander „gekauft“ werden, z.B. mit einem Job im Kraftwerk. Beziehungen zerbrechen an unversöhnlichen Pro-/Kontra-Standpunkten. Eine alte Frau sabotiert den Eis-Export und bricht dann mit ihrem Boot und gestohlenem Eis nach Süd-Frankreich auf, wo ihe Ex-Geliebter lebt. 

Die zweite Geschichte spielt in Süd-Frankreich des Jahres 2041. In Süd-Europa bricht alles zusammen, da kaum noch Regen fällt und es vielerorts brennt. Die Menschen fliehen nach Norden und landen in Auffanglager. Eine Familie wird in den Wirren getrennt, Vater und kleine Tochter landen in einem Auffanglager in Süd-Frankreich, wollen auf die Mutter und den Sohn warten. Doch die Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag, es kommen immer mehr Menschen, die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln bricht schleichend zusammen, das Lager wird schließlich aufgegeben. Vater und Tochter bleiben zunächst dort. 

Am Ende des Romans fließen die beiden Erzählstränge geschickt zusammen, denn Vater und Tochter finden ein Segelboot in einem ausgetrockneten Kanal – und später Wasservorräte in Kanistern. 

Die öffentliche Kritik an dem Roman war/ist eher zwiespältig, überwiegend attestiert man aber nicht die Qualität des ersten Bandes („Die Geschichte der Bienen“). Das mag sein, aus unterschiedlichen Gründen. Mit den Charakteren hatte ich selbst weniger Probleme. Man erfährt relativ wenig über die Geschichte des Wassers, aber der deutsche Titel des Romans ist auch nur ein Verlagstrick, um die Verkaufszahlen zu fördern, denn aus dem Norwegischen übersetzt, heißt der Roman nur „Blau“. 

Mich selbst störte etwas die streckenweise arg ausgebreitete Vater-Tochter-Beziehung. Insgesamt fand ich das Buch aber schon gut. 

Die google-KI kommt zu folgendem Fazit: “Die Geschichte des Wassers ist ein Roman, der durch seine wichtige und aktuelle Thematik überzeugt, aber in seiner Ausführung und Charaktertiefe auch Schwächen aufweist, die von Kritikern unterschiedlich bewertet werden“. 

Heute, 7 Jahre nach Erscheinen des Romans, spricht Einiges dafür, dass die dystopischen Verhältnisse noch schneller Wirklichkeit werden, da sämtliche Bemühungen um den Klimaschutz nicht ausreichend stringent vorangetrieben werden. Auch nicht in Europa. Es sind Rückschritte erkennbar. Es reicht nicht aus Programme und Ziele zu veröffentlichen, die nicht eingehalten werden und letztendlich nur politische Propaganda sind.

Mittwoch, 20. August 2025

Im Kino: Vermiglio

Maura Delpero's Film spielt um 1945 in einem norditalienischen Alpendorf, meist im Winter. Erwartungsgemäß bekommt man auch hier Bilder aus der Landwirtschaft geboten, allerdings häufig nur als Kleintier-Szenerie mit Hühnern, Schafen, Esel, denn im Mittelpunkt steht der Haushalt des Dorflehrers mit Frau, Oma, sieben oder acht Kindern, zumeist Töchtern. 

Auch wenn der Dorflehrer zu den hierarchisch höchstangesehenen Personen der Dorfgemeinde gehörte, kann man sich die Beengtheit des Lebens im Haus, die Armut damals und die Religiosität heute kaum noch vorstellen. Die Kinder/Töchter, die zu mehreren in einem Bett schlafen und ihre Gespräche gehören zum Interessantesten im Film, der Religionskram weniger. 

Gleichwohl wird auch „Luxus“ gezeigt, etwa die wenigen Schallplatten, zu denen sich der Lehrer gelegentlich einen Neuzugang leistet, auch wenn es dann weniger Kartoffeln auf den Teller gibt. 

In der Rahmenhandlung werden zwei Deserteure im Dorf aufgenommen und versteckt, von denen einer eine Tochter des Lehrers schwängert, sie dann beide heiraten müssen und der Deserteur, später in seiner Heimat in Sizilien zu Besuch, dort erschossen wird. Die Tochter hat nunmehr keine Zukunft mehr, muss ins Kloster. 

Solch eine abgeschlossene, wie konserviert wirkende Gemeinschaft befindet sich am Rand der Zivilisation“, konstatiert kino-zeit

Der Film kommt ohne Gewalt aus, wirkt aber meist freudlos-sperrig.

Sound-Welten (09/2025)

Gewinner dieser Prüfrunde ist das ältere Album der beiden geprüften „Black Country, New Road“-Alben. Nach spotify ist es auch das mit weitem Abstand erfolgreichste der hier geprüften Alben. 

Ape Amplitude. Erstmals geprüft. Album: Escape Routes (2019). Wahrscheinlich Debüt- und bisher einziges Album eines deutschen Progressive-Rock-Duos. „Prog in Reinform“, sagt rocktimes. Instrumental in Ordnung, bringt es aus meiner Sicht aber nicht viel Neues und ist weitgehend instrumental. SHR: 1 T – 7 T. WD: n.v. 

Black Country, New Road. Erstmals geprüft. Alben: Ants From Up There (2022), Forever Howlong (2025). Zweites und drittes Studio-Album einer erfolgreichen britischen Indie-Folk-Band. Sie kam mit diesen Alben auch in Deutschland in die Top 20 der Charts. Die Songs auf dem neuen Album sind oft sehr minimalistisch-akustisch-kammermusikartig und werden nach Abgang des Sängers mit den female Voices der Bandmitglieder vorgetragen. Mir ist diese Musik zu ruhig. Mit deutlich mehr Indie, Postrock und mit einigen viel längeren Songs war das aus meiner Sicht interessantere Vorgänger-Album ausgestattet. „Snow Globes“, eine echte, 9-minütige Indie-Perle dort. SHR: 6.213 T – 25.614 T // 911 T – 5.522 T. WD: 23/day. 

Carla Dal Forno. Erstmals geprüft. Album: Look Up Sharp (2019), Come Around (2022). Zweites und drittes Solo-Album einer australischen Avant-Dream-Pop-Lady, die schon vorher in einigen Bands tätig war. „Es dominieren dunkelgraue Stimmungen, die Songs mit ihrem verwaschenen Gesang bewegen sich in Zeitlupe dahin, Monotonie und Repetition werden zu wichtigen Stilmitteln“, sagt musikexpress zum zweiten Album. Das neuere Album unterscheidet sich stilistisch wenig. Electronic-lastiger Sound, kann man gut anhören. SHR: 120 T – 791 T // 43 T – 1.076 T. WD: n.v.

District 97. Alben: Screens (2019), Stay For The Ending (2023). Viertes und sechstes Studio-Album einer US-amerikanischen Progressive-Rock-Band mit Lady am Micro. Die ersten drei Alben hatte ich gekauft, aber viel Entwicklung hört man nicht mehr, sie bleiben weitgehend ihrem unruhig-frickeligem crimsoesken Stil treu und punkten vor allem mit dem Gesangsstil ihrer Sängerin. SHR: 5 T – 16 T // 3 T – 11 T. WD: 2/day. 

Emma Ruth Rundle & Thou. Album: May Our Chambers Be Full (2020). Auf diesem Kollaborationsalbum kommt die düstere Seite der US-amerikanischen Sängerin und Gitarristin in postrockartigen und doomigen Stil voll zum Tragen. Doch Black-Metal-Gesangsverzerrungen waren noch nie mein Ding. Überzeugen kann das 9-minütige „The Valley“. SHR: 584 T – 1.479 T. WD: 8/day. 

The Flying Norsemen. Erstmals geprüft. Album: The Flying Norsemen (2024). Debüt-Album einer norwegischen Retro-Progressive-Rock-Band. „Tempowechsel und nordisch anmutende Stimmungen sind ebenso wie das dynamische, aber auch wiederholt schräge Klangbild Teil der Performance“, sagt betreutesproggen. Hat harte Stoner-Rock-Passagen, gewöhnungsbedürftig ist aber vor allem der norwegische Gesang. SHR: 2 T – 4 T. WD: n.v. 

Giantsky. Erstmals geprüft. Album: Giant Sky II (2023). Norwegisches Progressive-Rock-Projekt. Zweites Album. „Verbindet ... die lyrische Seite der ganz frühen Werke von King Crimson mit nordisch, ätherischen Female Vocals, brüchige Folk Pop Miniaturen treffen auf schrammelnde Indie Rock Sequenzen“, sagt betreutesproggen. Kann man streckenweise anhören, aber die innere Überzeugung fehlt mir. SHR: 4 T – 7 T. WD: n.v. 

Hawkwind. Alben: Space Ritual (live 1973) // Stories from Time and Space (2024). Diese britische Space-Rock-/Psychedelic-Band hat seit ihrem Debüt-Album 1970 Dutzende Studio-Alben, Live-Alben und Compilations herausgebracht, wobei ihr Live-Werk oben ihr größter Erfolg war und es auf Platz 9 der britischen Charts schaffte. Es zeichnet sich durch einen treibend-repetitiven Stil aus, den man allerdings auch als monoton bezeichnen kann. „Der Track „Time We Left This World Today“ in der 13-minütigen Langfassung ist hier m.E. Das Highlight. Ich kannte dieses Werk schon damals, habe aber von der Band nur ein Studio-Album aus 1975. Heute sind fast alle Gründungsmitglieder mit Ausnahme des Sängers/Gitarristen tot, dennoch gibt es nach wie vor kontinuierlich neue Werke in neuer, austauschbarer Besetzung. Stilistisch mitunter noch ähnlich in einigen Songs, oft aber weniger treibend und manchmal sogar episch-balladesk, fehlt der Musik heute ihr Alleinstellungsmerkmal. Andere Bands sind allerdings schlechter gealtert und haben ihren ursprünglichen Stil ganz verraten. SHR: 64 T – 874 T // 17 T – 60 T. WD: 107/day. 

IQ. Alben: The Wake (1985) // Dominion (2025). Zweites und zwölftes Studio-Album einer britischen Neoprog-Band. Ich hatte mal in 2009 das damals aktuelle Album gekauft, aber irgendwie will die Band bei mir meistens mit ihren progressiven, oft langen Songs zwischen laut und leise nicht punkten, auch nicht bei obigen Werken. Aus meiner Sicht ist das ältere der genannten Alben jedoch ansprechender. SHR: 12 T – 62 T // 71 T – 140 T. WD: 15/day. 

SHR = Spotify-Hörer-Relevanz in 1.000 Zugriffen (= 1 T) je Song. Indikator für relative Bedeutung im westlichen Kulturaum. 

WD = Anzahl der de.wikipedia-Seitenaufrufe zur Band/Künstlerin pro Tag (als 90-Tage-Mittel), n.v. = keine deutschsprachige wikipedia-Seite vorhanden. Indikator für relative Bedeutung im deutschsprachigen Raum. 

Die Zahlenangaben beziehen sich auf den Zeitpunkt meines letzten Zugriffs.

Dienstag, 19. August 2025

Im Kino: Milch ins Feuer

Justine Bauer's Film spielt in der bayerischen Provinz und handelt von einer Frau, die mit ihren drei Töchtern einen Bauernhof bewirtschaftet. Daneben gibt es auch noch die alte Bäuerin, die das Tun beobachtet und manchmal von früher erzählt. Sie ist wahrscheinlich auch Wächterin über die patriarchalischen Traditionen, denn die Tochter bekommt nicht den Hof.

Man sieht so Einiges über die heutige Landwirtschaft. Kühe melken, Pflege des Ochsen, Heu mähen, Alpakas und Katzen kastrieren. Viel Arbeit, aber sommerliche Freizeitvergnügen gibt es dennoch ab und zu.

Der Film punktet vor allem auch mit den leicht ironisch-subversiven Gesprächen untereinander, über die Zukunft des Hofs, über das Heiraten, Kinder gebären etc. 

Der Titel des Films nimmt Bezug auf eine verfehlte Agrarpolitik und das Höfesterben, was hier unaufgeregt, aber dennoch drastisch am Beispiel des bankrotten Nachbarn gezeigt wird. 

Ein widerspenstiges Debüt zu einem bisher kaum beachteten Thema, das wenig ausspricht, nichts verschleiert und einen selten gesehenen Blick auf die Landwirtschaft in Deutschland wirft“, sagt epd-film.

Ein interessanter Film, ein bisschen an Dramatik und Substanz (zum Background) fehlt aus meiner Sicht dennoch.