Freitag, 15. Juli 2022

Im Kino: Corsage

Marie Kreutzer's Film erzählt aus dem Leben von Elisabeth von Österreich-Ungarn (1837-1898), die ab 1854 Kaiserin von Österreich war. 

Der Film spielt ausschließlich in den späteren 1870er Jahren und nimmt streng die Perspektive der Frau (Vicky Krieps) ein. Ihr ist jede Hofetikette ein Gräuel, was auch zu Spannungen mit dem Kaiser führt, der ihr lediglich Repräsentationsaufgaben zugesteht. Sie reitet gern und achtet sehr auf ihre Figur, lässt sich oft von ihren Dienerinnen in Korsetts einschnüren. Aber Empfänge und Essgelage langweilen sie fast zu Tode, weshalb sie sich zunehmend dem Hofe durch Reisen – meist zu anderen Landschlössern befreundeter Familien - entzieht. 

Erzählt wird demnach aus dem mehr oder weniger dekadenten Alltagsleben einer Adligen. Allein die feministische Perspektive macht den Film interessant, eine Geschichte im engeren Sinn wird nicht erzählt. 

Ich denke, es gibt noch mehr aus ihrem Leben zu erzählen, beispielsweise von ihren Reisen. Sie war im Osmanischen Reich, und sie ließ sich auf ihrer Lieblingsinsel Korfu einen Palast erbauen. 

Lt. kino-zeitist Corsage nicht einfach nur ein hochmoderner und manchmal fast avantgardistischer Film über das, was wir Geschichte nennen, sondern auch ein radikal politisches Werk, das ein radikal neues Bild einer historischen Figur zeichnet“.

Elisabeth von Österreich-Ungarn (wiki)

Mittwoch, 13. Juli 2022

Im Kino: Das Pfauenparadies

Die italienische Regisseurin Laura Bispuri erzählt in ihrem Film von einer Familienfeier in einem Haus am Meer anlässlich des Geburtstages der Oma. 

Eine der Töchter bringt neben Mann und Kind einen Pfau mit, der ihr Haustier ist. Die Familienmitglieder haben in der Vergangenheit so Einiges zu verbergen versucht, was nach und nach an die Oberfläche kommt. Aber im Zentrum der Ereignisse steht der Pfau, der auf den Balkon verbannt wird, nachdem er Geschirr zerschlagen hat und dann zu Tode kommt. Am Strand wird er begraben. Das Kind ist natürlich untröstlich. 

Die erzählte Geschichte wirkt etwas depressiv und leicht skurril sowieso, die Familie als Ganzes vielleicht auch irgendwie disfunktional. Man quatscht verhalten miteinander, aber wirklich wichtige Dinge wurden über Jahre nicht erzählt, weil man Angst vor der Verurteilung durch die Anderen hatte. 

Besonders aufregend ist der Film nicht, aber er trägt immerhin eine italienische Handschrift.

Das Drama wirkt alltagsnah und wie locker aus dem Ärmel geschüttelt, zugleich aber stilsicher und fein im Gespür für die nötige Verdichtung“, meint kino-zeit.

Sonntag, 10. Juli 2022

Im Kino: Wie im echten Leben

Emmanuel Carrère erzählt in seinem Film von einer Schriftstellerin (Juliette Binoche), die ein Buch über die prekären Arbeitsverhältnisse im Mindestlohnbereich schreiben möchte, sich deshalb eine erfundene Identität zulegt und beim Arbeitsamt in der nordfranzösischen Stadt Caen vorstellig wird. Ihr wird ein Job in der Putzbranche vermittelt. 

Nach Beschwerden in Zusammenhang mit einer Reinigung von Unterkünften fliegt sie erst mal raus, hat danach aber Berufserfahrung und findet schnell einen neuen Job bei einer Truppe Frauen, die die Kabinen in Fährschiffen reinigt. Es ist ein knochenharter Job, in dem alles sehr schnell gehen muss. 

Im Team entstehen zunächst Freundschaften, doch als ihre Identität auffliegt, fühlen sich ihre Kolleginnen – nicht ganz zu unrecht - belogen und missbraucht. 

Dem Regisseur ist ein weitgehend ansprechender, warmherziger Film gelungen, der einen relativ guten Einblick in den Joballtag der Putzbranche bietet. 

Ein ungemein wahrhaftiger Film – der beiläufig auch davon erzählt, wer sich zu Hungerlöhnen abrackern muss: Frauen, Schwarze, Transpersonen“, meint kino-zeit.

Mittwoch, 6. Juli 2022

Im Kino: Alcarras – Die letzte Ernte

Carla Simón's Film erzählt von einer spanischen Familie, die nahe der katalonischen Stadt Alcarras eine kleine Pfirsichbaum-Farm betreibt. Doch es stellt sich heraus, dass das Land dem Opa gar nicht gehört und der Besitzer dort zukünftig Solaranlagen aufstellen will, weil der Strom mehr Gewinn verspricht. Das führt zu Spannungen. 

Dieses Drama ist zu einem großen Teil auch ein Film über das Familienleben dort auf dem Hof, da die Schilderung des angeblich „glücklichen“ Kinderlebens einen erheblichen Anteil am positiven Vibe des Films hat. 

Es ist ein archaisches Dasein, das die Regisseurin in naturalistisch-realistischen Bildern einfängt“, meint filmreporter

Der Film gewann den Goldenen Bären. 

Diesen Film sah ich ausnahmsweise mal open air im Museum für Angewandte Kunst. Regulär im Kino läuft er noch nicht.

Dienstag, 28. Juni 2022

Sound-Welten (10/2022)

Ich habe bei spotify wieder einige Alben geprüft. Am besten gefiel mir das Werk von Nanna Barslev, habe ich direkt gekauft. 

Gong Wah. Erstmals bewusst gehört. Album: A Second (2022). Zweites Album einer Kölner Band mit Lady am Micro. „Gedämpften Proto-Punk und diskreten Noise-Pop beherrschen die Rheinländer genauso gut wie die Vibes aus der Gründerzeit von Indie und Riot Grrrl“, meint plattentests. Darin sehe ich allerdings auch das Problem, der Sound ist mir stilistisch zu heterogen. Einige Songs wie auch das knapp 9-minütige „One Fine Day“ können aber überzeugen. SHR: 1 T – 3 T. WD: n.v. 

Hey Colossus. Album: Dances/Curse (2020). Etwa 13. Studio-Album einer britischen Postpunk- und Alternative-Rockband. Vor etwa 5 Jahren kaufte ich schon mal ein Album von ihnen. „Ein warmer Klang, voller Verzerrung und wabernden Rückkopplungen. Akkorde, die plötzlich von Gesang und Schlagzeug aufgerissen werden, psychedelische Farben und eine sättigende Portion Noise“, meint artnoir. Hier findet sich auch ein 16-min-Song mit stoischem, krautrockartigem Rhythmus. Insgesamt will mich der Sound jedoch nicht überzeugen, ist mir zu noisig, zumal die Voices schwächeln. SHR: 11 T – 216 T. WD: n.v. 

The Joy Formidable. Album: Into The Blue (2021). Wahrscheinlich siebtes Studio-Album einer britischen Grunge- und Indie-Rock-Band mit Lady am Micro. So wirklich gefallen wollen mir die Songs nicht. SHR: 27 T – 272 T. WD: 2/day. 

Kjell Braaten. Erstmals bewusst gehört. Album: Ferd (2020). Mindestens fünftes Album eines norwegischen Multiinstrumentalisten. Nordischer Mystik-Folk, passend zu Wikinger-Dramen. „Geheimnisvoller, fast schon esoterisch anmutender Schönklang“, meint betreutesproggen. Das trifft es ganz gut. Manchmal gefallen mir die knarrige Instrumentierung und die ungewöhnlichen Percussion-Klänge. Es gibt auch Lady-Voices als Lautmalereien und ein paar eher kitschigere Songs. Anspieltipp: „Kyst“. SHR: 4 T – 556 T. WD: n.v. 

Low. Album: Hey What (2021). Etwa 13. Studio-Album einer US-amerikanischen Indie-Slowcore-Band mit Man/Lady am Micro. Mit dem neuen Album haben sie in Europa ihre bisher erfolgreichsten Chartplatzierungen eingefahren, schafften es auch erstmals in die deutschen Charts. Für mich sind sie eher „alte Hasen“, ich habe zwischen 2001 und 2011 immerhin 4 Alben von ihnen gekauft und sie auch mal live gesehen. Mir scheint jedoch, sie sind heute dissonanter mit ihren oft experimentell-zerhackten, schroff-verzerrten Gitarren und weiteren Verfremdungen ihres Sounds. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob mir ihr Sound und ihr Satzgesang so wirklich gefallen, auch wenn es immer noch eine interessante Band ist. SHR: 395 T – 1.639 T. WD: 19/day. 

Mr Mibbler. Erstmals bewusst gehört. Album: Leave Your Thoughts Here (2021). Mindestens drittes Album eines norwegischen Jazz-Ambient-Trios. Auf diesem Album wurde zu jedem Song von Gästen ein digitaler Soundschnipsel erbeten, der weiterverarbeitet wurde. Besonders aufregend fand ich das Ergebnis insgesamt nicht, aber es gibt Highlights wie „Sigmund Groeven meets Mr. Mibbler“. SHR: 1 T – 6 T. WD: n.v. 

Nanna Barslev. Erstmals gehört. Album: Lysbaerer (2022). Debut-Solo-Album einer dänischen Dark-Nordic-Folk-Lady. Sie war vorher schon in diversen mir nicht näher bekannten Bands aktiv. Diese Musik kann man wohl am ehesten mit solcher wie der von Dead Can Dance vergleichen. Der Sound ist tendenziell episch und percussionlastig. Gefällt mir ganz gut. SHR: 2 T – 12 T. WD: n.v. 

SHR = Spotify-Hörer-Relevanz in 1.000 Zugriffen (= 1 T) je Song. Indikator für relative Bedeutung im weltweiten Raum. 

WD = Anzahl der de.wikipedia-Seitenaufrufe zur Band/Künstlerin pro Tag (als 90-Tage-Mittel), n.v. = keine deutschsprachige wikipedia-Seite vorhanden. Indikator für relative Bedeutung im deutschsprachigen Raum. 

Die Zahlenangaben beziehen sich auf den Zeitpunkt meines letzten Zugriffs.