Montag, 6. Mai 2019

Bücherwelten: Albert Sánchez Piñol „Im Rausch der Stille“

Es ist ein Roman (orig.: La Pell Freda, 2002) düsterer Imagination, eine Reise ins Herz der Finsternis in der literarischen Tradition lange verstorbener Autoren wie Joseph Conrad, den der spanische Anthropologe Albert Sánchez Piñol hier verfasste. Unheimliche Seegeschichten im Stile H. P. Lovecrafts oder W. H. Hodgsons – beide ebenfalls lange tot – dürfte der Autor wohl auch kennen. 

Der Roman war sehr erfolgreich, wurde in mindestens 28 Sprachen übersetzt. In Anbetracht des düsteren Sujets ist das schon bemerkenswert. Die Reise selbst spielt im Roman weiter keine Rolle, vielmehr handelt die Geschichte, die vielleicht um 1915 spielt, von einem irischen Freiheitskämpfer, der abgrundtief frustriert von seinen Zeitgenossen sich auf einen Posten als Wetterbeobachter auf einer kleinen abgelegenen südatlantischen Insel bewirbt und dort nach langer Schiffsreise dann ankommt. 

Auf der felsig-kargen Insel gibt es ein Häuschen für den Wetterbeobachter und einen düsteren Leuchtturm am anderen Ende der Insel. Ein paar Besatzungsmitglieder begleiten den Mann noch zum Leuchtturm, doch der dortige Bewohner, ein alter Österreicher, empfängt sie ziemlich unwirsch, halb im Suff, halb in Wahnsinn gefangen. Die merkwürdigen Befestigungen des Leuchtturms fallen dem neuen Wetterbeobachter schon auf. 

In der Nacht passiert das, was in den folgenden Wochen und Monaten noch häufig passieren soll – unheimliche, menschenähnliche Kreaturen mit schlangenähnlicher Haut und Schwimmhäuten steigen aus dem Meer auf, um die Insel anzugreifen. Der Wetterbeobachter überlebt die erste Nacht und in den nächsten Tagen kommt er mit dem Leuchtturmwärter, der Munition benötigt, zu einem Agreement, er darf mit in den Leuchtturm einziehen. Im Laufe der nächsten Tage beobachtet er, dass sich der Leuchtturmwärter in sado-masochistischer Beziehung eine „Fisch-Schlangen-Frau“ als Sklavin hält und nachts zermürben ihn die Lustschreie der beiden, wenn diese „Frau“ nicht gerade tagsüber intensiv gesungen hat und in dessen Folge dann nachts die Meereswesen den Leuchtturm angreifen. 

Später kommt der Wetterbeobachter dieser „Frau“, die keinerlei kulturell-sexuelle Tabus kennt, näher und sie haben ebenfalls hemmungslosen Sex irgendwo auf der Insel. Doch die Munition geht langsam aus, und die Annäherung an die Wesen aus dem Meer, die zeitweise zu gelingen scheint, scheitert am Starrsinn und dem Hass des Leuchtturmwärters. 

Das Buch ist schon sehr unheimlich in der ersten Hälfte, kann schlafgestörte Nächte verursachen, und es unterscheidet sich von den alten Klassikern vermutlich durch seine offen abgehandelte erotische und auch die anthropologische Komponente in der zweiten Hälfte, die mehr oder minder einen gescheiterten First Contact beschreibt. Insgesamt ist es ein echtes Meisterwerk der phantastischen Literatur, in gelungener Übersetzung von Angelika Maass. 

Unaufdringlich zitiert der Roman mit Fischmenschen und Meerjungfrauen populäre Mythologeme. Er lässt an Horrorfilme wie „The Fog – Nebel des Grauens“ denken. Das Buch kreist um die Ähnlichkeit mit dem Verhassten, mit der schon der erste Satz eröffnet. Aber das vergisst, wer atemlos und gebannt Seite um Seite umschlägt“, meinte seinerzeit deutschlandfunkkultur

Unter dem Titel „Cold Skin - Insel der Kreaturen" wurde der Roman in 2017 von dem französischen Regisseur Xavier Gens verfilmt. Dieses Werk – gestern angeschaut – kann in seiner existenzialistischen Art und in der Wahl seiner Schauplätze mit dem auch ansprechend ins Bild gesetzten deformierten Leuchtturm durchaus Pluspunkte sammeln, wirkt mitunter wie eine finstere Robinson-Crusoe-Variante. Die Intensität der Roman-Vorlage erreicht der nach diversen Quellen auf Lanzarote gedrehte Film in vielen Belangen (SchauspielerInnen, Atmosphäre) allerdings nicht. Was die Sex-Komponente angeht, wollte man wohl auch nicht auf dem Friedhof verschrobener verbotener Filmwerke landen. 

Sowohl für Monsterfilm-Fans als auch für Anhänger philosophisch-archaischer Geschichten wie „Moby Dick“ empfehlenswert“, meint filmstarts.
 

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